Rezension zu „Ich nannte ihn Krawatte“ von Milena Michiko Flašar
„Jemandem zu begegnen bedeutet, sich zu verwickeln. Es wird ein unsichtbarer Faden geknüpft. Von Mensch zu Mensch. Lauter Fäden. Kreuz und quer. Jemandem zu begegnen bedeutet, Teil seines Gewebes zu werden und dies galt es zu vermeiden.[…]” (Aus dem Buch: Ich nannte ihn Krawatte)
Diese Haltung vertritt Taguchi Hiro, in dem Buch „Ich nannte ihn Krawatte“ von Milena Michiko Flašar, als er zum ersten Mal seit zwei Jahren aus der Haustür seines Elternhauses tritt.
Das Buch erschien 2012 bei dem Verlag Klaus Wagenbach. Seither wurde es über 120.000 Mal verkauft und als Theaterstück am Maxim Gorki Theater uraufgeführt.
Die Geschichte handelt von zwei Männern, die sich zufällig auf einer Parkbank treffen. Beide sind auf ihre Weise aus der Gesellschaft gefallen.
Taguchi Hiro ist ein Hikikomori, was die japanische Bezeichnung für Personen ist, die sich weigern, das Haus ihrer Eltern zu verlassen, sich in ihrem Zimmer einsperren und den Kontakt zur Außenwelt auf das Minimum reduzieren. Der Grund dafür ist meistens der große Leistungs- und Anpassungsdruck in Schule oder Gesellschaft.
Ōhara Tetsu ist ein Salaryman, was in Japan die Bezeichnung für männliche Firmenangestellte ist. Er hat seine Arbeit verloren und traut sich nicht, es seiner Frau zu erzählen.
Im Laufe des Buches lernt man die beiden kennen. Erst nach und nach offenbaren sie sich ihrem Gegenüber und kehren langsam wieder in die Gesellschaft zurück. Doch eines Tages kommt Tetsu nicht mehr zu ihrer Parkbank, und Hiros neu aufgebaute Welt droht wieder zu zerbrechen.
Das Buch ist in einer etwas komplexen Schreibweise geschrieben, da die Autorin keine wörtliche Rede benutzt und der Text dadurch eher schwer zu lesen ist. Die Autorin hat jedoch eine unverkennbare Schreibweise, die man selten bei anderen Büchern findet. Außerdem werden die Dialoge häufig von Hiros Gedanken unterbrochen, da das Buch aus seiner Sicht geschrieben ist. Man kann das Buch nicht aus den Händen legen, da die Geschichten und die Hintergründe der Charaktere äußerst interessant sind. Manchmal ist das Buch zwischendurch etwas träge, aber wenn man etwas Geduld aufbringt, wird man danach mit spannenden Wendungen belohnt. Der Leser bekommt in diesem Buch das Gefühl eines Außenstehenden, der die Gefühle und Gedanken des Hauptcharakters mitbekommt. Im Handlungsstrang wird dennoch nicht vorgegriffen und man erfährt alles in dem Moment, indem es die Charaktere im Buch erfahren, was einen neutralen und momentanen Einblick auf das Geschehen bietet.
Mich hat das Buch sehr gefesselt und vor allem, wenn man etwas für Psychologie übrig hat, ist es genau das Richtige.
(ppo)